Freitag, 29. August 2008

Im Kurswagen nach Dagebüll


Autor : ein uns bekannter Gastschreiber

Ich gehöre auch zu den Dauerpendlern auf der Schnellstrecke zwischen Köln und Frankfurt am Main und bin damit auch Besitzer einer Bahncard 100. Vielleicht gehören Sie ja auch dazu.

Wenn es sich denn nicht vermeiden lässt, an freien/privaten Tagen mit der Bahn zu fahren, bin ich natürlich sehr glücklich im Besitz einer solchen „Was kostet die Welt“-Karte mit integrierter Reisefreiheit auf Deutschlands Schienen für nur einmalige 3.500 Piepen. Das sind Sie bestimmt auch, ah ich sehe Sie nicken. Dann wissen Sie ja auch, was einem auf so den „Nebenstrecken“ alles passieren kann. Ich kann ihr zustimmendes Nicken bis hierhin sehen. Ich erzähl Ihnen jetzt mal eine Geschichte aus meinem privaten Leben mit der Bahn.

Nun begab es sich zu jener Zeit, um genau zu sein am Freitag, den 08.08.2008 (Beginn der olympischen Super-China-Sommer-Spiele), dass ich an diesem Tag nach Föhr reisen wollte. Meine Frau und Kinder waren schon ein paar Tage zuvor mit dem Auto auf die Insel gefahren, um die Verwandtschaft zu besuchen.

Also ab mit der Bahn bis nach Dagebüll Mole und von dort mit der Fähre weiter – Fähre wissen Sie was das ist? Muss ich nicht erklären, ne? Gut. Die Fahrt mit der Bahn von Düsseldorf aus dauert nur schlappe 6,5 Stunden und dann geht es weiter mit der Fähre. Der erste Zug (Intercity!) morgens fährt um 5:30 los. Ich hatte mir den Wecker auf 4:00 Uhr gestellt (oh Mann, das ist früher als es eh schon immer morgens ist, kennen Sie ja auch, ne?) und prompt instinktiv den Wecker bei Klingeln um 4:00 Uhr im Halbschlaf ausgestellt und bin um 6:00 Uhr von alleine aufgewacht. Warum instinktiv? – Das folgt noch, erkläre ich Ihnen später.

Ein kleiner Exkurs an dieser Stelle an die Vorabendgeschehnisse am Donnerstag, den 07.08.2008: ein orkan-/tornadoartiger Sturm fegte über Köln, Düsseldorf und Norddeutschland am Abend dieses besagten Donnerstags hinweg.

Und weiter geht es: um 9:30 Uhr fuhr der nächste Zug (Intercity!) nach Westerland mit Kurswagen nach Dagebüll Mole. 9:30 Uhr war locker zu schaffen, und so war ich nach Kaffee und Brötchen am Bahnhof (wir Pendler geben ja eigentlich am Bahnhof noch mal 3.500 Piepen im Jahr für Essen, Trinken, Lesen und Kartenspiele aus, kennen Sie auch, ne? Schön Schokocroissant, Brötchen mit Schinken, lecker Milchkaffee, Laugenbrezel bei Ditsch, kaltes Bier vom Iraner, prima Frischgetränk von der Saftbutze oder mal einfach wieder Mäces) frisch und munter auf dem Bahnsteig, allerdings war nun meine Ankunftszeit auf Föhr (Fähre inkl.) auf 17:15 Uhr angestiegen.

Der Wagenstandsanzeiger gab an: Erst die Lok (Hey, mal ein echter Triebkopf!), dann der Kurswagen nach Dagebüll, dann der ganze Restzug mit Ziel Westerland (Einschub: Föhr und Sylt ist wie Dortmund und Schalke nur noch 10mal schlimmer, und daher ist der Zug für mich ein lästiges Übel, um nach Föhr zu kommen. Sie merken schon, hier beim Lesen, da lernt man noch was). Ich also nach vorne. Gerade angekommen vernahm ich die nette Stimme aus dem Lautsprecher: „Bitte beachten Sie! Der Zug verkehrt heute als Ersatzzug und ist umgekehrt gereiht“ Ersatzzug? Hä? Ich ahnte großes Ungemach.

Der Bahnsteig brechend voll mit Sylt-Touristen („Is ja so schööön daa“, ja ja und die blöde Kuh haben Sie bestimmt auch auf dem Auto kleben. Sie dürfen ruhig nicken, außer mir sieht das keiner.). Als ich dann direkt nach Ansage zurückeilte – die meisten standen ja nur blöd rum, weil Sie die Ansage nicht verstanden haben. Ist Ihnen das eigentlich schon mal aufgefallen? Früher wo man nicht gependelt ist, hat man die Durchsagen nicht verstanden, nicht gehört, ignoriert, und jetzt? Einwandfrei, als wenn der Lautsprecheronkel direkt neben einem stehen würde – als ich also zurückeilte, da hörte ich doch neben mir zwei Päärchen die Worte wechseln: „Na, auch wieder da?“ – „Ja, wir wollten es vier Stunden später noch mal probieren“ und da war er, mein INSTINKT! Der 5:30-IC war komplett ausgefallen und ich ganz lässig anderthalb Stunden vor dem Ereignis den Wecker ausgemacht im Halbschlaf, und jetzt sind Sie dran!

In mich hinein grinsend – haste gut gemacht – wanderte ich zum Ende des Zuges und je näher ich dem Ende kam desto mehr verging mir mein Grinsen. Ersatzzug, Ersatzzug, Ersatzzug, denk nach, denk nach… die werden doch den Kurswagen… nein das können die nicht…. Am letzten Wagen angekommen bin ich eingestiegen, hinter einer Horde Rentner auf dem Weg, nach Sie wissen schon wohin: Westerland. Der erste Blick in den Intercity-Großraumwagen bot mir einen „Freitag 17:10 Frankfurt-Köln“ Anblick: Alles voll. Oh Mann! Da will man einmal privat mit der Bahn fahren und dann auch noch Intercity und knüppelvoll. Elegant wie eine alte, erfahren Gazelle am begehrten Wasserloch in der Serengeti ergatterte ich einen freien Einzelplatz.

Der Rest kurz vor Abfahrt sei schnell beschrieben: Chaos, keine Platzreservierung gilt mehr, Ersatzzug ohne Wagen 16 und 17 (Hallo? Wen interessiert das?) Rentner die behaupten Sie haben reserviert und deshalb gehört Ihnen persönlich ein ganzer Sitz der DB AG auf Lebenszeit auch wenn eigentlich niemanden irgendetwas gehört und schon gar nicht, wenn es sich um einen Ersatzzug handelt.

In mir kam unterdessen der Verdacht auf, könnte es sein, dass wegen des Unwetters am Vortag (s.o.) etwas nicht stimmte? Etwa Züge nicht zurückgekehrt sind und deshalb dieser Ersatzzug verkehrte, der 5:30-IC gar komplett ausgefallen war?

Mich interessiert immer noch die spannende Frage, ob ich nun im Kurswagen nach Dagebüll saß oder aber nicht und es das liebe kleine Kurswägelein gar nicht gab. Es sei Ihnen erklärt, dass der Kurswagen sich von dem Rest des Zuges in Niebüll (Kreis NF) verabschiedet und seinen Weg nach Dagebüll Mole nimmt, ganz alleine und auf sich gestellt, aber lassen wir Sentimentalitäten.

Endlich, endlich, endlich kam hinter Dortmund ein von der DB bestellter Zugbegleiter in meinem Wagen an und kontrollierte die Fahrausweise, die Fahrscheine und sogar die Fahrkarten. Der etwas genervte Mann („Herr Schaffner, wat is mit meine Sitzplatzreservierung? Isch han doch daför bezahlt!“) wäre schon fast weg gewesen, nachdem er einen flüchtigen Blick auf meine Schwarze geworfen hat, als ich ihn abrupt mit dem Anheben meiner Stimme gestoppt habe und fragte „Entschuldigung – guter Bruder im Geiste und treuer Weggefährte auf allen Schienen- ist das hier der Kurswagen nach Dagebüll Mole?“ –„Nein! Es gibt heute keinen Kurswagen (Du Depp weißt Du das nicht? Das steht doch überall in den Sternen und wir haben es doch auch schon KEIN EINZIGES MAL durchgesagt!! Mann, Mann, Mann! 3.500 Piepen auf der Joppe, aber nicht wissen, dass es heute keinen Kurswagen gibt!)“- „Äääh, und wie komme ich dann nach Dagebüll Mole?“ – „(Was ein Volleimer! Quatsch mich nicht mit Deinen Fragen voll!) UMSTGEIGEN!!!“-„Äääh, umsteigen? Ja wie, in Hamburg?“-„(Da hab ich mich hier durch den ganzen Zug knipsend gequält und dann der noch) Nein, doch nicht in Hamburg.“ – „In Niebüll?“-„Ja, in Niebüll, dort soll ein Ersatzzug stehen, mit dem es dann weitergeht, aber keine Ahnung ob wir bis dahin kommen, gestern ging kein Zug mehr zwischen Bremen und Hamburg und aus Hamburg keiner mehr raus nach Westerland (Sehr gut, dachte ich) und das Unwetter (jetzt sprudelte alles aus ihm raus, die ganze Last fiel ihm von den Schultern, gleich würde ich ihn in den Arm nehmen müssen und wir würden beide heulen). das Unwetter hat alles durcheinandergebracht, es war ein Tornado, haben Sie davon nichts gehört (nee, hab ich nicht), es war so furchtbar.“ Dann schnäuzte er in sein Taschentuch, wusch sich die Tränen aus dem Gesicht, klopfte mir auf die Schulter und ging schluchzend weiter. Na ja, ein bisschen habe ich zugedichtet, dass müssen Sie schon verstehen, sonst lesen Sie ja auch nicht weiter.
Ich wurde verdutzt zurückgelassen, habe kurz überlegt, tief Luft geholt und wissen Sie, was ich dann gemacht habe?: Ich bin in Münster ausgestiegen, habe 40min auf den verspäteten ICE nach Frankfurt gewartet und bin dann schööön wieder nach Hause gefahren. Auf Bahnchaos hatte ich einfach keine Lust, nicht an meinem freien Tag. Meine Frau und Kinder haben schöne Tage bei Oma und Opa verbracht und ich mal prima zwei Tage entspannt zu Hause.

Wissen Sie was? Mögen wir Pendler auch auf der Schnellstrecke manchmal schimpfen, auf dem Rest des Streckennetzes ist alles noch viel schlimmer!

Und jetzt noch zum Abschluss, aber dann bin ich wirklich fertig. Kommen Sie mal ganz nahe ran. Näher! Hört uns auch keiner zu? Liest keiner mit? Okay: Ich habe noch so ne Geschichte erlebt! Allerdings beruflich! Die erzähle ich Ihnen beim nächsten Mal und jetzt sind Sie dran!!

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